Oft werden die Begriffe „Dehnen“ und „Mobility“ synonym genutzt. Dabei unterscheiden sie sich grundlegend. Auch wenn beide Methoden dem Beweglichkeitstraining zugeordnet sind und das Ziel haben, die Beweglichkeit zu verbessern, gibt es große Unterschiede. Nicht nur in der Durchführung, sondern auch was die Effekte auf den Körper anbelangt.
Dehnen
Beim Dehnen geht es darum, die Flexibilität zu erhöhen.
Flexibilität beschreibt allgemein, wie flexibel oder „biegsam“ man ist. Es handelt sich dabei um eine passive Beweglichkeit ohne wirkliche muskuläre Aktivierung und kann eher als die Dehnfähigkeit der Muskulatur gesehen werden. Ein klassisches Beispiel wäre das statische Dehnen.
Es bezieht sich auf die Fähigkeit eines Muskels, einen bestimmten Bewegungsradius auszuführen bzw. den Muskel in die Länge zu ziehen. Das Ziel des Dehnens ist es also, die Toleranz gegenüber Dehnspannungen zu steigern und somit die Bewegungsreichweite zu vergrößern. Sprich, bei wiederholtem Dehnen kann sich die Schmerzgrenze weiter nach oben verschieben – was zur Folge hat, dass höhere Dehnungsreize toleriert werden.
Auf lange Sicht kann dies positiv für Sportarten sein, die viel Beweglichkeit benötigen wie Geräteturnen, tanzen, Ballett oder rhythmische Sportgymnastik.
Mobility
Mobilität hingegen kann definiert werden als die Fähigkeit, mobil bzw. beweglich sowie agil zu sein und ein Gelenk im vollen Bewegungsumfang aktiv bewegen zu
können. Es ist also ein übergreifender Begriff und bezieht alles ein, was die aktive Beweglichkeit beeinflusst. Dazu zählen vor allem die motorische Kontrolle bzw. das Zusammenspiel des neuromuskulären Systems, Koordination, die Gleitfähigkeit des Bindegewebes (Faszien), Gelenke sowie Gelenkkapseln – und eben auch die Dehnfähigkeit der Muskulatur. Es ist demnach ein Produkt der Flexibilität und aktiven Beweglichkeit und somit ein ganzheitlicher Ansatz, um die Beweglichkeit zu verbessern.
Beispiel: Trotz guter Flexibilität im Hüftbereich und in den Sprunggelenken bedeutet es nicht, dass man dadurch automatisch eine saubere tiefe Kniebeuge ausführen kann. Denn zu einer tiefen Kniebeuge gehört noch wesentlich mehr als nur eine hohe Flexibilität. Eine Kniebeuge ist ein komplexes Bewegungsmuster und genau das beschreibt Mobility. Wie mobil jemand ist, misst man vor allem anhand des Bewegungsumfangs (ROM = Range of Motion) während einer funktionellen Bewegung.
Während man bei einer Kniebeuge also eine gewisse Flexibilität und Mobilität benötigt, ist es bei einem Spagat nicht nötig, eine hohe Mobilität zu besitzen. Denn es ist weniger eine funktionelle Bewegung, sondern eher eine statische Halteposition. Bedeutet, dass Flexibilität auch immer ein Teil der Mobilität ist.
Was hilft bei Verkürzungen?
Ein weit verbreiteter Mythos ist, dass ein Muskel verkürzen kann und demnach das Dehnen hilft, ihn wieder in die Länge zu ziehen. Und auch wenn die Vorstellung plausibel scheint, ist sie jedoch definitiv falsch. Die strukturelle Länge eines Muskels ist per se immer gleich, denn weder Ansatz und Urspruch eines Muskels noch die Anzahl oder Länge der Sarkomere innerhalb einer Muskelfaser können verändert werden.
Eine Veränderung der Muskellänge findet nur bei einer Kontraktion statt (konzentrisch oder exzentrisch) und ist reversibel. Denn unmittelbar nach der Entspannung des Muskels nimmt er wieder seine ursprüngliche Länge ein. Ansonsten kann die Länge eines Muskels nicht nachhaltig verändert werden, weder in die eine noch in die andere Richtung.
Wenn von „verkürzten“ Muskeln die Rede ist, dann ist damit eine eingeschränkte Beweglichkeit bzw. Dehnfähigkeit gemeint. Sprich, es besteht eine verminderte Toleranz gegenüber einer Dehnungsspannung. Eine wirkliche strukturelle Verkürzung eines Muskels besteht dabei nicht.
Deswegen sollte eine „Muskelverkürzung“ auch funktionell betrachtet werden. Funktionell gesehen entstehen „Verkürzungen“, wenn ein Muskel seine optimale Kraftentfaltung in einem kleineren Funktionswinkel hat, als er eigentlich haben sollte oder haben könnte. Er also weniger flexibel ist bzw. eine reduzierte Dehnfähigkeit hat.
Das Problem dahinter ist meist eine muskuläre Dysbalance aufgrund einseitiger Belastungen, Fehlhaltungen oder Bewegungsmangel. Muskuläre Dysbalance bedeutet dabei, dass ein Muskel im Vergleich zu seinem Gegenspieler viel kräftiger ist und einen höheren Muskeltonus (Spannung) aufweist. Jedoch sollte man den betreffenden Muskel dann nicht einfach nur dehnen, sondern für einen Ausgleich sorgen.
Dies schafft man, indem man den „verkürzten“ Muskel über eine möglichst große Bewegungsamplitude (ROM: Range Of Motion) durch beispielsweise Mobility Übungen dynamisch bewegt sowie die Dehnfähigkeit verbessert.
Gleichzeitig muss man den Antagonisten (Gegenspieler) kräftigen, indem auch er über einen größtmöglichen Bewegungsumfang trainiert wird. Somit entsteht ein Gleichgewicht zwischen Agonist und Antagonist und eine muskuläre Dysbalance sowie die daraus resultierenden Verspannungen werden behoben.
Durch Dehnen wird der Muskel also nicht strukturell länger (auch nicht „schlanker“), es kann lediglich die Sensibilität der Muskelspindeln verringern, sodass der Muskel insgesamt mehr Bewegung zulässt.
Was verbessert am besten die Beweglichkeit?
Unter Beweglichkeit versteht man in erster Linie die Fähigkeit der Muskeln sowie Gelenke, die mögliche Bewegungsamplitude optimal auszunutzen. Sprich, den Muskel über seine gesamte Kontraktionsstrecke belasten zu können – von maximal gedehnt bis maximal verkürzt – bzw. das jeweilige Gelenk über die volle aktive Gelenkbeweglichkeit zu bewegen.
Dehnen kann dabei tatsächlich die Bewegungsreichweite vergrößern. Der Grund für die erhöhte Beweglichkeit ist vor allem die subjektiv höhere Toleranz gegenüber maximalen Dehnungsspannungen. Sprich, bei wiederholtem Dehnen kann sich die Schmerzgrenze weiter nach oben verschieben, was zur Folge hat, dass höhere Dehnungsreize toleriert werden und sich so die Beweglichkeit kurzfristig erhöht.
Und hier liegt auch der Sinn und Zweck des Dehnens. Wenn es darum geht, die reine Beweglichkeit zu erhalten bzw. zu steigern, dann erfüllen Dehnübungen definitiv ihren Zweck. Sie dienen im Gesundheitssport also primär der Prävention und Rehabilitation.
Aber auch in beweglichkeitsbetonten Sportarten wie Geräteturnen, rhythmische Sportgymnastik sowie Kampfsport oder Hürdenlauf ist ein regelmäßiges Dehnen auf jeden Fall sinnvoll. Wobei Experten eher den Einsatz dynamischer Dehnübungen empfehlen, da es zweckmäßiger als statisches Dehnen zu sein scheint.
Ansonsten hilft aber auch Krafttraining, die Beweglichkeit zu verbessern.
In dieser Studie von Morton et. al werden zwei Gruppen miteinander verglichen. Eine Gruppe führte lediglich Krafttrainingsübungen durch, die andere Gruppe nur statische, passive Dehnübungen. Am Ende verbesserten beide Gruppen in gleicher Weise ihre Beweglichkeit. Diese Studie gibt Hinweise darauf, dass Krafttraining allein ausreichend ist, um das Bewegungsausmaß zu steigern.
Aber auch andere Untersuchungen unterstützen diese Annahme und zeigen den positiven Einfluss von Krafttraining auf die Beweglichkeit – sofern mit einem vollen Bewegungsradius gearbeitet wird.
Schlussfolgernd scheint es also sinnvoll, sowohl Krafttraining als auch dynamische Dehnübungen bzw. Mobility Training zu absolvieren, um die Beweglichkeit zu verbessern.
Was ist also besser?
Das hängt ganz vom persönlichen Ziel ab. Ein intensives Dehnen ist bei Sportarten, bei denen sehr viel Beweglichkeit gefordert ist unabdingbar. Hier kann Dehnen sinnvoll sein, damit die Muskulatur insgesamt mehr Bewegung bzw. Dehntoleranz zulässt. Wobei hier der Einsatz dynamischer Dehnübungen zu empfehlen ist, da diese oft zweckmäßiger als statisches Dehnen zu sein scheinen.
Auch allgemein bietet das statische Dehnen laut diverser Studien (siehe Streichung Guide) in vielen Situationen oft mehr Nachteile als Vorteile. Deswegen ist es ratsam, Mobility mit seinen dynamischen Bewegungen dem statischen Dehnen vorzuziehen. Denn es ist nicht nur zweckmäßiger, sondern umfasst ganzheitlich das Thema Beweglichkeit und kann somit deutlich effektiver zu einer besseren aktiven Beweglichkeit beitragen.
Fazit
Mobility kombiniert verschiedene dynamische sowie komplexe Beweglichkeitsübungen, bei denen es vor allem darum geht:
- Bewegungseinschränkungen zu beheben
- Dysbalancen auszugleichen
- Verspannungen des Gewebes zu reduzieren
- Den Muskel mit seinem Gelenk in vollem Bewegungsumfang zu benutzen
- Die motorische Ansteuerung bzw. Koordination zu optimieren. Dazu zählen die Körperwahrnehmung sowie das neuronale Zusammenspiel der beteiligten Strukturen.
Kurz gesagt, es ist ein ganzheitlicher Ansatz mit dem Ziel, die aktive Beweglichkeit zu verbessern bzw. zu erhalten und damit die Performance im Alltag sowie im Training zu verbessern.
Beim Dehnen heißt es: Nicht immer, aber wieder öfter! Gerade wenn es darum geht, die Dehntoleranz zu erhöhen. Man sollte nur wissen wann und wie! Es ist sehr individuell und hier gilt es für sich selbst herauszufinden, was das richtige und beste Dehnprogramm ist, was einem selbst gut tut und ob es für einen überhaupt zweckmäßig ist.
Noch mehr Wissenswertes über das Mobility Training mit insgesamt 120 Übungen zu jedem Gelenk und zehn kompletten Workouts zum Nachmachen, findest du in unserem Mobility Guide: