Viele sprechen von „Dehnen“ und „Mobility“ als Synonyme, insbesondere im Kontext von Beweglichkeitstraining. Beide haben das Ziel, die Beweglichkeit zu verbessern bzw. Bewegungsbereiche (engl. Range of Motion, ROM) zu erweitern. Dennoch unterscheiden sie sich fundamental in ihrer Methodik, in den beteiligten physiologischen Mechanismen und in ihrer Wirkung – sowohl kurzfristig als auch langfristig.

Was ist Dehnen?

Beim Dehnen, insbesondere beim statischen Dehnen, wird ein Muskel in eine Endposition gebracht und dort für eine bestimmte Zeit gehalten. Ziel ist es, die passive Flexibilität zu erhöhen und den Widerstand des Gewebes gegen Dehnung zu verringern. Studien zeigen, dass wiederholtes statisches Dehnen die sogenannte „Stretch Tolerance“ steigern kann: Das subjektive Empfinden von Dehnspannung verschiebt sich, sodass höhere Dehnreize toleriert werden und sich der Bewegungsradius kurzfristig vergrößert (Behm & Chaouachi, 2011; Konrad et al., 2024). Diese Effekte sind besonders relevant für Sportarten, die eine hohe passive Beweglichkeit erfordern – etwa Ballett, Turnen oder rhythmische Sportgymnastik.

Die oft verbreitete Vorstellung, man könne durch Dehnen Muskeln strukturell „verlängern“ oder „verkürzte“ Muskeln wieder „in die Länge ziehen“, ist hingegen wissenschaftlich nicht haltbar. Die strukturelle Länge eines Muskels bleibt – abgesehen von pathologischen Veränderungen oder Extremsituationen – konstant. Verbesserungen im Bewegungsradius beruhen vor allem auf Anpassungen in der Dehnwahrnehmung und der passiven Steifigkeit der Muskel-Sehnen-Einheit, nicht auf einer echten Verlängerung von Muskelfasern oder Sarkomeren (Weppler & Magnusson, 2010).

Längeres statisches Dehnen kann vor einer Belastung sogar Leistungseinbußen verursachen – Kraft, Schnellkraft und Explosivleistung sinken messbar (Behm & Chaouachi, 2011). Auch langfristig bleibt der Effekt auf den Bewegungsradius begrenzt, wenn nicht gleichzeitig Kraft und aktive Kontrolle trainiert werden. Für die meisten Menschen ist statisches Dehnen daher weder notwendig noch die effektivste Methode, um sich wirklich beweglicher zu fühlen oder besser zu bewegen.

Was ist Mobility?

Mobility bedeutet mehr als nur Flexibilität. Es beschreibt die Fähigkeit, ein Gelenk aktiv und kontrolliert über den gesamten Bewegungsumfang zu bewegen. Das umfasst neben der Dehnfähigkeit der Muskulatur auch Faktoren wie neuromuskuläre Steuerung, Gelenkbeweglichkeit, Koordination, fasziale Gleitfähigkeit und Stabilität. Mobility ist also ein Produkt aus passiver Flexibilität plus aktiver Kontrolle. Ziel ist es, Bewegungen nicht nur passiv „zulassen“ zu können, sondern sie auch funktionell und kraftvoll auszuführen.

Beispiel: Trotz guter Flexibilität im Hüftbereich und in den Sprunggelenken bedeutet es nicht, dass man dadurch automatisch eine saubere tiefe Kniebeuge ausführen kann. Denn zu einer tiefen Kniebeuge gehört noch wesentlich mehr als nur eine hohe Flexibilität. Eine Kniebeuge ist ein komplexes Bewegungsmuster und genau das beschreibt Mobility. Wie mobil jemand ist, misst man vor allem anhand des Bewegungsumfangs (ROM = Range of Motion) während einer funktionellen Bewegung.

Während man bei einer Kniebeuge also eine gewisse Flexibilität und Mobilität benötigt, ist es bei einem Spagat nicht nötig, eine hohe Mobilität zu besitzen. Denn es ist weniger eine funktionelle Bewegung, sondern eher eine statische Halteposition. Bedeutet, dass Flexibilität auch immer ein Teil der Mobilität ist.

Krafttraining über den vollen Bewegungsradius – ähnlich flexibel, aber stärker

Neuere Forschung zeigt, dass auch Krafttraining mit großem Bewegungsumfang Beweglichkeit steigern kann – mindestens ebenso gut wie statisches Dehnen, aber mit zusätzlichem Kraftgewinn. Rosenfeldt et al. (2024) verglichen Widerstandstraining über den gesamten Bewegungsradius mit passivem Dehnen. Ergebnis: Beide Gruppen verbesserten ihre Beweglichkeit ähnlich stark, doch nur die Krafttrainingsgruppe gewann an Stärke. Für die Praxis bedeutet das: Wer Beweglichkeit und Kraft gleichzeitig trainieren will, fährt mit Mobility-Übungen oder Krafttraining im vollen ROM effizienter als mit reinem Dehnen.

Mythen um „Muskelverkürzungen“

Ein weit verbreiteter Mythos ist, dass ein Muskel verkürzen kann und demnach das Dehnen hilft, ihn wieder in die Länge zu ziehen. Und auch wenn die Vorstellung plausibel scheint, ist sie jedoch definitiv falsch. Die strukturelle Länge eines Muskels ist per se immer gleich, denn weder Ansatz und Urspruch eines Muskels noch die Anzahl oder Länge der Sarkomere innerhalb einer Muskelfaser können verändert werden.

Eine Veränderung der Muskellänge findet nur bei einer Kontraktion statt (konzentrisch oder exzentrisch) und ist reversibel. Denn unmittelbar nach der Entspannung des Muskels nimmt er wieder seine ursprüngliche Länge ein. Ansonsten kann die Länge eines Muskels nicht nachhaltig verändert werden, weder in die eine noch in die andere Richtung.

Wenn von „verkürzten“ Muskeln die Rede ist, dann ist damit eine eingeschränkte Beweglichkeit bzw. Dehnfähigkeit gemeint. Sprich, es besteht eine verminderte Toleranz gegenüber einer Dehnungsspannung. Eine wirkliche strukturelle Verkürzung eines Muskels besteht dabei nicht.

Deswegen sollte eine „Muskelverkürzung“ auch funktionell betrachtet werden. Funktionell gesehen entstehen „Verkürzungen“, wenn ein Muskel seine optimale Kraftentfaltung in einem kleineren Funktionswinkel hat, als er eigentlich haben sollte oder haben könnte. Er also weniger flexibel ist bzw. eine reduzierte Dehnfähigkeit hat.

Das Problem dahinter ist meist eine muskuläre Dysbalance aufgrund einseitiger Belastungen, Fehlhaltungen oder Bewegungsmangel. Muskuläre Dysbalance bedeutet dabei, dass ein Muskel im Vergleich zu seinem Gegenspieler viel kräftiger ist und einen höheren Muskeltonus (Spannung) aufweist. Jedoch sollte man den betreffenden Muskel dann nicht einfach nur dehnen, sondern für einen Ausgleich sorgen.

Dies schafft man, indem man den „verkürzten“ Muskel über eine möglichst große Bewegungsamplitude (ROM: Range Of Motion) durch beispielsweise Mobility Übungen dynamisch bewegt sowie die Dehnfähigkeit verbessert.

Gleichzeitig muss man den Antagonisten (Gegenspieler) kräftigen, indem auch er über einen größtmöglichen Bewegungsumfang trainiert wird. Somit entsteht ein Gleichgewicht zwischen Agonist und Antagonist und eine muskuläre Dysbalance sowie die daraus resultierenden Verspannungen werden behoben.

Durch Dehnen wird der Muskel also nicht strukturell länger (auch nicht „schlanker“), es kann lediglich die Sensibilität der Muskelspindeln verringern, sodass der Muskel insgesamt mehr Bewegung zulässt.

Was verbessert am besten die Beweglichkeit?

Unter Beweglichkeit versteht man in erster Linie die Fähigkeit der Muskeln sowie Gelenke, die mögliche Bewegungsamplitude optimal auszunutzen. Sprich, den Muskel über seine gesamte Kontraktionsstrecke belasten zu können – von maximal gedehnt bis maximal verkürzt – bzw. das jeweilige Gelenk über die volle aktive Gelenkbeweglichkeit zu bewegen.

Dehnen kann dabei tatsächlich die Bewegungsreichweite vergrößern. Der Grund für die erhöhte Beweglichkeit ist vor allem die subjektiv höhere Toleranz gegenüber maximalen Dehnungsspannungen. Sprich, bei wiederholtem Dehnen kann sich die Schmerzgrenze weiter nach oben verschieben, was zur Folge hat, dass höhere Dehnungsreize toleriert werden und sich so die Beweglichkeit kurzfristig erhöht.

Und hier liegt auch der Sinn und Zweck des Dehnens. Wenn es darum geht, die reine Beweglichkeit zu erhalten bzw. zu steigern, dann erfüllen Dehnübungen definitiv ihren Zweck. Sie dienen im Gesundheitssport also primär der Prävention und Rehabilitation.

Aber auch in beweglichkeitsbetonten Sportarten wie Geräteturnen, rhythmische Sportgymnastik sowie Kampfsport oder Hürdenlauf ist ein regelmäßiges Dehnen auf jeden Fall sinnvoll. Wobei Experten eher den Einsatz dynamischer Dehnübungen empfehlen, da es zweckmäßiger als statisches Dehnen zu sein scheint.

Ansonsten hilft aber auch Krafttraining, die Beweglichkeit zu verbessern.

In dieser Studie von Morton et. al werden zwei Gruppen miteinander verglichen. Eine Gruppe führte lediglich Krafttrainingsübungen durch, die andere Gruppe nur statische, passive Dehnübungen. Am Ende verbesserten beide Gruppen in gleicher Weise ihre Beweglichkeit. Diese Studie gibt Hinweise darauf, dass Krafttraining allein ausreichend ist, um das Bewegungsausmaß zu steigern.

Aber auch andere Untersuchungen unterstützen diese Annahme und zeigen den positiven Einfluss von Krafttraining auf die Beweglichkeit – sofern mit einem vollen Bewegungsradius gearbeitet wird.

Schlussfolgernd scheint es also sinnvoll, sowohl Krafttraining als auch dynamische Dehnübungen bzw. Mobility Training zu absolvieren, um die Beweglichkeit zu verbessern.

Was ist also besser?

Das hängt ganz vom persönlichen Ziel ab. Ein intensives Dehnen ist bei Sportarten, bei denen sehr viel Beweglichkeit gefordert ist unabdingbar. Hier kann Dehnen sinnvoll sein, damit die Muskulatur insgesamt mehr Bewegung bzw. Dehntoleranz zulässt. Wobei hier der Einsatz dynamischer Dehnübungen zu empfehlen ist, da diese oft zweckmäßiger als statisches Dehnen zu sein scheinen.

Auch allgemein bietet das statische Dehnen laut diverser Studien (siehe Stretching Guide) in vielen Situationen oft mehr Nachteile als Vorteile. Deswegen ist es ratsam, Mobility mit seinen dynamischen Bewegungen dem statischen Dehnen vorzuziehen. Denn es ist nicht nur zweckmäßiger, sondern umfasst ganzheitlich das Thema Beweglichkeit und kann somit deutlich effektiver zu einer besseren aktiven Beweglichkeit beitragen.

Fazit

Die Forschung ist eindeutig: Mobility-Training und Krafttraining über den vollen Bewegungsradius sind effektiverals klassisches statisches Dehnen, wenn es um praktisch nutzbare Beweglichkeit geht. Sie verbessern nicht nur die Flexibilität, sondern auch Stabilität, Kraft und Koordination – und damit das, was im Alltag und Sport wirklich zählt. Statisches Dehnen kann unterstützend wirken, ist aber ohne aktives Training weder notwendig noch besonders wirkungsvoll. Wer seine Beweglichkeit nachhaltig verbessern will, sollte daher auf dynamische Mobility-Übungen und funktionelles Krafttraining setzen.

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